Hallte ihre Stimme durch eine abgrundtiefe, finstere Leere. Dunkelheit, Stille – die absolute Leere umschloss sie.
Seit dem Ereignis mit König Daray Aidan und dem Nekromanten Mortanius, waren Teana und Juliane miteinander verbunden. Zwei Geister, die sich einen Körper teilten, ihn beseelen konnten und in den Vordergrund treten konnten.
Selbst, wenn eine von den beiden Cousinen im Vordergrund war und den Körper zu beherrschen schien, war die andere immer allgegenwärtig, aufmerksam im Hintergrund. Natürlich gab es Momente, in denen sie sich abkapselten. Doch diese Momente hatten sich im Laufe der vergangenen Jahre drastisch gemindert. Weder Juliane noch Teana fanden die Muse dafür sich für private Liebeleien begeistern zu können.
Als unwirklicher Schatten, der in vermeintlichen Tagträumen auftauchte, erreichte er sie. Anfänglich waren es nur schemenhafte Umrisse, die sie neben sich erkannte – nicht mehr als ein vorbeihuschender Schatten. Später dann waren es Stimmen, die sie im Hintergrund ihres Geistes äußerst undeutlich vernehmen konnte. Doch mit jedem vergangenen Tag wurden diese Phänomene stärker. Aus den Umrissen wurde eine schattenhafte, jedoch erkennbare, männliche Gestalt. Die Stimmen wurden klarer und entpuppte sich als eine verfluchte Gestalt – der Sultan Daray Aidan. Mit bruchstückhaften Botschaften wies er ihr den Weg in den Süden.
Über die weiten Meere der Heimat, über fremde, dicke und immergrüne Wälder des Südens und durch die erbarmungslose Kristallwüste hinweg.
Im Reich Jelomnia angekommen, erkannte Teana damals, dass der Schatten des verfluchten Aidans nicht nur aus Nächstenliebe gehandelt hatte. Der Anblick, der sich Teana damals bat, war nicht ein aufblühendes, lebendiges oder gar florierendes Reich. Es war das genaue Gegenteil. Dunkle Wolken verweilten standhaft über der scheinbar toten Stadt und hauchten sie in eine betrübende Dunkelheit.
Sträucher und Blumen waren ihrer kräftigen Farben beraubt worden und wurden in ein lebensloses Grau getaucht. Der heiße, bisweilen auch warme und angenehme Sand – wenn man denn im Schatten stand – war eiskalt und strahlte diese auch wie eine Schneedecke aus. Mortanius, der Lehrmeister von Juliane, hatte dieses Land übernommen und ihm jedwede Kraft geraubt.
Teana wurde eben durch diese sich ihr präsentierende Situation in einen Kampf verwickelt. Einen Kampf mit sich selbst. Aufkeimende Angst, über das was ihr in Jelomnia hätte widerfahren können. Angst über die Kräfte, die hierfür verantwortlich waren und was sie mit ihr hätten anrichten können.
Doch am Ende war es die Angst um Juliane, die überwog. Der Schatten des Aidan begleitete Teana, unterwies sie in die Geschehnisse und verhalft mit seinen aufrechten Worten Teanas Geist Standhaftigkeit.
Juliane war diejenige, deren Lebenskraft ausgesogen wurde – ja so einfach war es. Mortanius lehrte Juliane über Jahre hinweg den Weg zur Magie mit den Toten. Das tat er nicht etwa um Julianes Willen. Für ihn war Juliane die Möglichkeit, sich selbst einen großen Gefallen zu erweisen. Ein Ritual, das den Toten im Austausch gegen Juliane wieder eine physische Gestalt geben sollte. In Julianes naivem Bestreben mächtiger zu werden, folgte sie ihrem Meister – welcher ihr nur noch mehr Macht versprach - und ermöglichte somit dieses Unglück.
Diese durch Daray Aidan gewonnenen Erkenntnisse stärkten Teana in ihrem Bestreben und ließen sie weiter voranschreiten. Aus Angst wurde Zuversicht und schließlich – am Ende, nachdem unzählige Schattenwesen bekämpft wurden – stand sie Mortanius gegenüber. Mit nichts weiter als einer Kettenrüstung, einem Kurzschwert und einem Schild.
Noch während der Kampf gegen Mortanius andauerte und Teana so gut wie all ihre physischen und geistigen Kräfte Mortanius entgegengebracht hatte, gelang es ihr Juliane zu befreien. In einem letzten Akt konnten die beiden Cousinen den Untoten schlussendlich doch besiegen.
Der Preis für Teana war hoch – denn ihr Körper hatte die Strapazen nicht durchgehalten und hätte binnen weniger Minuten aufgegeben.
Teana war sich damals dessen bewusst und akzeptierte ihr Ende, für einen Neuanfang, den sie ihrer Cousine schenken konnte.
Doch Dankbarkeit ist ein Gut, das mehr Wert sein kann als alle Besitztümer. Durch Mortanius‘ Verschwinden, kehrte wieder Leben im Reich Jelomnia zurück. Auch Sultan Aidan durfte wieder menschliche Form annehmen.
Auch er sah die sterbende Teana vor sich, die er lange Zeit begleitet hatte. Daneben die bereits leise trauernde Cousine.
>>Ihr seid Schwestern, die nicht getrennt werden wollen. Ich wüsste euch nicht mehr zu helfen als auf diese Weise.<<
Waren seine damaligen Worte. In zurückgekehrter, menschlicher Form übte Aidan Magie aus. Magie, die die lebende Juliane und die sterbende Teana für immer vereinigen würde.
Seither wanderten, sprachen und lebten die beiden in enger Abhängigkeit voneinander und doch erfüllte es die beiden einsamen Seelen mit tiefster Zufriedenheit.
Nach all den Jahren konnten sie es sich gar nicht mehr anders vorstellen. Gerade deswegen, war dieses Ereignis so bedrückend.
Doch die Tiefen kehrten zurück - auch lange nachdem die Ereignisse allmählich verblasst waren.
Wieder erklang Teanas Stimme durch die Unendlichkeit.
>>Ich höre dich nicht – bist du noch da?<<
Doch selbst nach einigen Herzschlägen war dort keine Antwort. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie Juliane nicht mehr erreichen konnte. Hatte Juliane sie etwa ausgesperrt?
>Nein, das hätte sie mir gesagt.<
Schoss der Gedankengang durch ihren Kopf. Das erste Mal nach all der Zeit, war sie plötzlich von Juliane getrennt und konnte sie nicht erreichen.
Sie erinnerte sich an Tage zuvor, als sie sich mit Mor’dan vor Nalveroth getroffen hatte. Sie hatte ihren Lehrmeister lange nicht mehr gesehen – es gab Gründe dafür. Ihn jetzt wiederzusehen, belebte eine innere, fast vergessene Unruhe, die sie an die anfänglichen Ereignisse in Jelomnia erinnerte. Auch während des Gespräches mit Mor’dan wollte dieses Gefühl nicht abnehmen. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Lehrmeister nicht schon lange die ihre eigene, tiefste Unsicherheit bemerkt hatte.
Doch auch sie selbst versuchte sich insgeheim einzureden, dass ihr Gespür sie nicht täuschen konnte. Da war etwas. Spätestens nach dem Treffen mit den Drow, wurde ihr selbst klar, wie sehr sie beeinflusst wurde. Es war ein simpler Zauber, den sie heraufbeschwören wollte – eine Kleinigkeit, eine Flamme in der Ferne, die sie zu sich rufen wollte. Doch sie kannte den Weg dorthin nicht mehr. Sie wusste nicht mehr, wo sie das Licht in der Ferne hätte auffinden können – spürte die gewohnte Wärme nicht mehr und war nicht dazu in der Lage, das zu tun, das sie Jahre lang praktiziert hatte. Anstatt der Wärme des gewohnten Feuers, fühlte sie nur eisige Kälte um sich herum – fast so wie es damals in Jelomnia war. Sie war nicht dazu in der Lage den Zauber zu beschwören. Eine Wahrnehmung, die unterschiedliche Sinne beeinflusste und ihr ein Gefühl vorgaukelte, dass Mortanius hier war.
Unerwartet klang die dunkle und alte Stimme aus scheinbar allen Richtungen.
>>Wer auf dem Pfad der Vergangenen wandelt wird kein wegweisendes Licht finden.<<
Ihr stockte der Atem als sie die bekannte Stimme des untoten Magiers aus allen Richtungen vernahm.
>>Es ist an der Zeit deinen rechtmäßigen Platz an meiner Seite einzunehmen.<<