Liebster Roderik

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Elira Raureif
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Liebster Roderik

Beitrag von Elira Raureif »

Liebster Roderik,
Elira setzte die Feder ab und musterte die Worte. Liebster Roderik. Ja. Ein guter Anfang. Solide. Unproblematisch. 
Sie nickte sich selbst zu, tauchte die filigran silbergefasste Sumpfhuhnfeder (ein Geschenk Roderiks: "Weil du mein kleines Sumpfhuhn bist") in Tinte ein, und schrieb weiter.
Wir sind gut angekommen.
Waren sie das? Die Hälfte der Zeit während der Überfahrt hatte einer der Dreien über der Reling gehangen. Am fünften Tag auf See war das Schiff zudem in einen so heftigen Sturm geraten, dass Elira überzeugt gewesen war, die hölzerne Schale der "Sonnenläuferin" würde jeden Moment auseinander brechen, und alle an Bord in die wirbelnde Untiefe der See gezogen werden, um dort von Haien und riesigen Oktopussen - der Art, die sie nur auf Bildern gesehen hatte - gefressen zu werden. Den Gedanken an Oktopusse fand sie dabei besonders beunruhigend, mit all den Fangarmen und dem finsteren Blick, und, so man den Bildern glauben mochte, manchmal auch Vampirzähnen. Aber das war am Ende nichts, was zählte. Was zählte, war die wesentliche Information, und das war nun eben die, dass sie gut angekommen waren. Gut im Sinne von in einem Stück und mit all ihrem Gepäck an sich. Das war, was interessierte. Nicht ihre Ängste vor Stürmen und Oktopussen.
Nebelhafen, unsere vorerst neue Heimat, ist eine pittoreske kleine Siedlung im Aufbruch, und die Bewohner recht freundlich.
Elira stockte erneut und starrte die Worte an. Sie war sich nicht sicher, ob pittoresk wirklich das richtige Wort war, aber mit etwas Wohlwollen war es bestimmt...nicht direkt falsch. Was die freundlichen Bewohner anging, nun, die Bürgersprecherin war mehr als liebenswürdig, ebenso wie die Tavernenwirtin, die Halbelfe, und der Druide mit einem eklatanten Mangel an Hemden (was ihn in Eliras Augen jedoch nicht zu einem schlechteren Menschen machte). Dann waren da jedoch noch Dunkelelfen und sie war sich sicher, am Vortage einen Ork gesehen zu haben. Es musste ein Ork sein. Kein Mensch konnte ein solches Gesicht haben, nicht einmal nach sehr viel Schnaps. Andererseits...waren das sicher keine Bewohner. Eher Gäste. Man konnte es stehen lassen.

Auch die Gegend um Nebelhafen herum hat ihren Reiz. Es gibt hier wunderschöne Wälder, einen Quellwasserfluss, verborgene kleine Grotten und Wiesen. ich fand sogar einen Sumpf, und fühlte mich doch sehr an Zuhause erinnert. Überall fühlt man sich recht sicher.
Sie verzog das Gesicht, noch während sie das letzte Wort schrieb. Sicher. Solange man die beiden Drachen im Berg übersah. Und die tollwütigen Tiere, die einem zumal nachstellten. Und den Vorfall mit der Nekromantin am Vorabend, die noch etwas unangenehmer war als ein Oktopus. Andererseits...niemand hatte gestern sie persönlich bedroht, und die Anwesenheit von Shira und dem schlecht gelaunten Magier (Lavius? Lovius? Livius? Sie musste nochmal nachfragen) hatte eine gewisse Sicherheit vermittelt. Zudem war da noch Wintal, der ja theoretisch auch...irgendwie... für Sicherheit sorgte? Im letzteren Punkt war sie vollends unschlüssig. Er fühlte sich nicht gerade sicher an. Nein, das ging so nicht.

Elira seufzte, und strich den letzten Satz, um dann ein neues Blatt heranzuholen. Draußen vor dem Fenster zog ein weiterer goldener Herbstnachmittag vorbei. Der auffrischende Wind trug den Geruch von Blättern und warmem Moos heran. Sie schloss die Augen, atmete durch, und schloss dann das Fenster. Konzentration. Auf ein Neues.
Liebster Roderik... 
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Elira Raureif
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Re: Liebster Roderik

Beitrag von Elira Raureif »

Liebster Roderik,

Elira spürte einen sachten Gewissensbiss. Was hatte Shira ihr aufgetragen? In die Natur gehen, einen Ort suchen, der Bedeutung hatte, Leben, Wärme, Schönheit...
Neben ihr platschte es. Der Geruch von alten Essensresten und Seifenlauge stieg auf, als die Tavernenmagd, die man bei deren Alter vielleicht nicht mehr ganz als Magd ansehen konnte, mit schlecht gelauntem Gesicht über den Holzboden zu wischen begann. Irgendein kleines Tier mit zu vielen Beinen schoss aus einer Fuge zwischen den Dielen und eilte vor dem ihm nachschlagenden Wischmop davon. Elira starrte der Schabe hinterher und überlegte, ob diese als Vertreter der Natur herhalten könnte. 
Ich habe eine Lehrmeisterin gefunden. Ihr Name ist Shira. Ich weiß nicht ob sie auch einen Nachnamen hat. Nachnamen scheinen hier allerdings nicht unbedingt von Wichtigkeit zu sein, besonders in Druidenkreisen nicht. 

So etwas würde Roderik nicht gefallen. Personen ohne Nachnamen, Adresse, und Papiere auf denen man sie irgendetwas unterschreiben lassen konnte waren ihm höchst suspekt. Wenn man mit jemandem keinen Vertrag mit mindestens einem großen Wachssiegel (besser zweien) aufsetzen konnte, war ein solcher jemand seiner Zeit nicht wert. "Und du solltest dich mit so jemandem auch nicht abgeben." Sie hörte seine Stimme regelrecht im Hinterkopf, wohlwollend, stets ein wenig gönnerhaft und von einer klaren Erwartungshaltung geprägt. Vermutlich sollte sie ihm das lieber nicht sagen. Elira musterte die geschriebenen Zeilen, strich die letzten zwei Sätze durch und korrigierte.
... Sie hat bestimmt einen Nachnamen, den ich lediglich noch nicht kenne. Sie hat eine gänzlich andere Herangehensweise an die Magie, als jene Grundlagen, die mir aus Cinea bekannt sind, die mir neu, und ehrlicherweise recht aufregend erscheint. 

Sie hob die Feder an und sah sich in der Taverne um. Der Boden um sie herum schwamm in dreckigem Seifenwasser, während die Magd sich weiter zu den Ostfenstern voranwischte. Vielleicht hätte sie sich nicht hierher setzen sollen, doch der Wirtsraum war in den Morgenstunden normalerweise angenehm leer, und der strömende Regen draußen verbat sämtliche Absichten, einen Platz außerhalb zu suchen. Sicher, der Regen gehörte zur Natur, aber Briefe schreiben ließ sich darin nicht. Sie hatte versprochen, pünktlich zu schreiben. Pünktlichkeit war wichtig. Und oben in ihrem Zimmer... zu viel Ablenkung. Sie schluckte den Geruch von Seifenwasser hinab und schrieb weiter.
Ich will Dich aber nicht mit Details magischer Unterweisung langweilen. Wisse allein, dass es vorangeht. Neben den Studien versuche ich mich hier einzuleben, und Nebelhafen gestaltet sich interessanter, als gedacht. Erst vorgestern fanden wir heraus, dass es unter der Stadt eine Taverne gibt, die von einem Oger geführt wird, denke Dir das nur. Es ist natürlich nicht ganz ungefährlich: Die Taverne geht zur Kanalisation heraus, und dort im Dunkeln kann allerhand lauern. Uns lauerte zum Beispiel ein Prediger auf, der mit uns über die Engel des Herrn sprechen wollte.

Sie ließ aus, was es da unten noch an Zimmern gab. Das würde Roderik nicht gefallen. Sie ließ auch aus, dass es einen Kampfring gab. Das würde ihm vermutlich zu sehr gefallen. Wie war das? "Leidenschaftlicher Glücksspieler". Sie hatte ihren Verlobten nie spielen sehen, aber es... klang nicht unglaubwürdig. Oder sie wollte nicht glauben, dass Wintal log. Ah... da war ja noch etwas.
Herr Wintal passt weiterhin gut auf mich auf.

Sie setzte den Punkt nach diesem Satz sehr langsam und deutlich auf das Papier. Neben ihr rumpelte es - die Magd war auf der Jagd nach einer Ratte, und schob entschlossen mit dem Fuß einen Stuhl beiseite, um dann mit dem dem Wischmop unter dem Nachbartisch herumzustochern. Elira schloss für einen Moment die Augen und stand auf, Brief, Tintenfässchen und Feder aufsammelnd. Vielleicht war ihr Zimmer doch nicht so übel.

Die Geräusche des Kampfes Mop gegen Ratte folgten ihr, während sie die Treppe hinaufstieg. Die Ratte schien zu gewinnen.
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Elira Raureif
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Re: Liebster Roderik

Beitrag von Elira Raureif »

Liebster Roderik,

Der Herbst hält Einzug. Das mag für Dich banal klingen, doch war es bislang nicht klar und erwiesen, dass es auf dieser Insel hier einen Jahreszeitenlauf gibt. Zumindest schien es jenen nicht klar, mit denen ich sprach. Der Beginn des Herbstes ist insofern sicher eine Erkenntnis, die wir an die Akademie weitermelden können.


Und was würde das für eine großartige Meldung werden.
'Hier gibt es Jahreszeiten. Außerdem ist es Nachts dunkel und im Schnee kalt. Dürfen wir jetzt wiederkommen?' Elira schnaubte, und rügte im selben Moment die eigenen Gedanken. Derlei war völlig unangebracht, und ganz offensichtlich der unheilige Einfluss Wintals. Er wurde ständig sarkastisch. Nein, so etwas war er, nicht sie. Sie wusste es besser, gerade wenn es um Wissenschaft ging. Wissenschaft fing im Kleinen an, so wurde es ihr eingebläut. Von ihrem Vater, von ihren Lehrern, von den Dozenten der Akademie. Auch das Banale hat einen Wert, und manche großartige Dinge begannen als lange, langweilige Zahlenreihen oder Berichte eintöniger Beobachtungen. Auch wenn es langweilig schien, es hatte einen Wert. Besonders, wenn es langweilig schien.
Selbstverständlich habe ich mich mit der nötigen Kleidung für kältere Tage eingedeckt und dabei auf einen vernünftigen Preis geachtet. Dazu muss ich dir berichten, dass es nicht ganz so leicht ist, hier vernünftige Preise auszumachen. So wird auf dem hiesigen Markt beispielsweise ein Rappe für 300 Taler angeboten, und ein anderer für mehr als das Doppelte. Warum das so ist, konnte ich wirklich nicht ausmachen. Es wird aber auch ohnedies viel Schindluder auf dem Pferdemarkt getrieben. Angeblich versuchen manche Leute sogar, Lamas für Ponys auszugeben - darauf ist bislang aber nur Fräulein Maris reingefallen. 

Elira pausierte und sah nachdenklich auf den Satz hinab. Es kam ja nicht in Frage, dass Fel freiwillig auf einem Lama ritt. Oder? Nein, nein. Es sah zu wunderlich aus. Nicht besonders elegant. Zudem war das Tier offenkundig bösartig und versuchte Leute anzuspucken. Nein, man musste es ihr aufgeschwatzt haben, sie war ja auch ein vertrauenswürdiges Ding. Das elfische Erbe vermutlich.
Die junge Frau überflog die Zeilen prüfend und bereute dann flüchtig doch, diese niedergeschrieben zu haben, als sie sich Roderiks Gesicht vorstellte, wenn er das lesen würde. Ein wenig herablassend, ein wenig oberflächlich mitleidig. Vermutlich würde er besorgt sein, sie selbst könnte sich auch irgendetwas aufschwatzen lassen, was ihn am Ende Geld kosten würde. Nicht, dass er nicht genug hatte, doch es gab wenig, was ihren Verlobten unleidlicher stimmte als Geld, das unnötig wegfloss. 

Sie erinnerte sich daran, wie er sie zum ersten Mal in sein Rechnungszimmer brachte, wie er es nannte: Ein länglicher, karger Raum, deren beide Wände mit dunklen Regalen voller Rechnungsbücher gesäumt waren. "Hier ist alles, meine Liebe. Alle Verträge, alle Schuldnerscheine, alle Abrechnungen, laufend und abgeschlossen. Nein, keine Sorge," er hatte bei ihrem Gesichtsausdruck zu lachen begonnen. "Mein Buchhalter wird dir nach der Hochzeit alles beibringen. Schritt für Schritt, bis du alles verstehst und beherrschst."
Dass er danach keinen Buchhalter mehr beschäftigen würde, hatte er nicht gesagt, aber es war auch nicht nötig gewesen. Soweit hatte Elira selbst denken können. Jemanden, der derlei nicht zu Ende denken könnte, hätte Roderik nicht in diesen Raum geführt gehabt.

Meine Ausbildung verläuft derweil gut. Shira war so freundlich mich an einem Vorhaben zu beteiligen, das dem Schutz der Natur auf dieser Insel dienen wird. Ich durfte bei dieser Gelegenheit einen weiteren Druiden kennenlernen, und sogar Waldelfen. Sie sind übrigens wunderschön, und haben entgegen der Darstellung in der Encyclopedia in deinem Kaminraum keine Schuppen. Zumindest habe ich keine gefunden.

Sie hielt inne, die Sumpfhuhnfeder über dem Papier gehoben, und überlegte. Sollte sie von dem Einhorn erzählen? Von dem um sich greifenden Mangel an Oberkörperbekleidung hiesiger Druiden? Von dem Sumpf, der voller Leben und Gefahr pulsierte und sie schmerzlich an die Nebelwasser in ihrer Kindheit erinnerte? Von der hübschen, riesigen rote Blume die sie auf der Rückreise erspäht hatte, die sich schloss, wenn man sie anfasste? Von den neuen und aufregenden Geräuschen, die die Nacht im Urwald bereit hielt, von dem majestätischen Hirsch, den sie auf einer Lichtung getroffen hatte, von unbekannt scheinenden Sternbildern, von dem Spötterwettstreit, von glimmenden Sonnenaufgängen über dem Ozean, von finster dreinschauenden Dunkelelfen, von... Sie bremste die eigenen Gedanken aus und stellte sich abermals Roderiks Gesicht vor. Nein, all das galt es nicht zu erwähnen. Er würde es bestenfalls für uninteressant befinden. Schlimmstenfalls für unnötige Flausen. Sie tauchte die Feder behutsam wieder in Tinte ein.
Fenrik passt weiterhin gut auf mich auf.




 
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Elira Raureif
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Re: Liebster Roderik

Beitrag von Elira Raureif »

Lieber Roderik,

Ich habe deinen Brief erhalten. Es freut mich wirklich zu lesen, dass deine Geschäfte gut laufen. Ich habe mich derweil informiert und denke, dass ich einen etwas tieferen Einblick in deine Geschäftspraktiken habe. Einen wirklich interessanten Einblick.

Sollte sie das so stehen lassen? Es war eine Andeutung. Eine, die man richtig verstehen konnte oder nicht. Roderik würde es sicher richtig verstehen. Und vermutlich nicht mögen. So etwas nannte sich impertinentes Verhalten. Elira biss sich auf die Unterlippe, griff zum Rand des Papierblattes, um es zu zerknüllen... und schrieb dann doch weiter.
Es wird dich freuen zu hören dass wir hier ebenso vorankommen. Unter der Anleitung meiner Lehrmeisterin mache ich zur Zeit Fortschritte, die ich in der Akademie zu Cinea nicht hätte erahnen können. Um ehrlich zu sein beginne ich mich zu fragen, ob die Unterrichtsmethoden dort tatsächlich für Naturmagier geeignet sind. Ich würde mir natürlich nie anmaßen mich über die Weisheit und Erfahrung der ehrwürdigen Professoren zu stellen, aber Tatsache ist doch, dass sich kein einziger Druide unter ihnen findet, und dass mir der Aufenthalt im Wald bislang wesentlich mehr Fortschritte bescheren konnte als das Studium von Büchern und Schriftrollen. 

Elira sah davon ab, die Fortschritte selbst zu beschreiben. Was sollte sie auch notieren? Dass sie die tiefere Meditation von Shira gelernt hatte? Das würde Roderik nicht verstehen. Dass sie es seit dem vorigen Tag endlich vermochte, halbwegs zuverlässig einen Blitz herbeizurufen? Das würde ihn nicht beeindrucken. Es war nur ein Blitz, und lange nicht so stark, wie die Entladungen, die ein echtes Gewitter zu bringen vermochte. Damit konnte man sicher nicht einmal jemanden umbringen. Nicht, dass Elira jemanden umbringen wollen würde. Niemals. Sie schauderte bei dem Gedanken.
Unlängst durften wir übrigens einem Unterricht beiwohnen, bei dem sämtliche Magierrichtungen vertreten waren und sich vorstellen konnten. Es war zu Teilen hochinteressant, wenn auch von sehr unterschiedlichen Meinungen geprägt. Selbst ein Nekromant war dabei (Nekromanten sind hier nicht überall verboten, wie bei uns, sollst du wissen, aber ich halte mich natürlich von diesem Volk fern). Wir haben von ihm erfahren, dass Nekromanten keine Freunde und auch sonst nicht viel Gutes im Leben haben. Ich glaube jedoch, dass niemand davon überrascht war. 

Das würde Roderik nun ganz sicher nicht gefallen. Nekromantie war auf Elinoth seit gut 60 Jahren bereits streng verboten und mit Kerker- oder gar Todesstrafe belegt: Ein Meilenstein der Herrschaft Herinoths II, des Vaters der heutigen Königin. Herinoth II hatte in seiner langen und recht friedlichen Zeit auf dem Thron nicht viel Anderes vollbracht als das, und die Nekromantie hatte nach dem eher formellen Verbot lange im Halbschatten weiterfloriert - bis zur Thronbesteigung durch seine Tochter vor knapp 25 Jahren. Ihre Majestät Phaina III war von tatkräftiger und durchsetzungsfähiger Natur, und hatte ihre Zeit auf dem Thron mit einer harten Verfolgungswelle gegen alles, was ansatzweise nach unerlaubter Nekromantie aussah, begonnen gehabt.

Elira selbst war noch zu klein gewesen, um die ersten und aktiven Jahre der Jagd auf Nekromanten bewusst erlebt zu haben, doch sie hatte von den Prozessen, Ermittlungen und Hinrichtungen gehört. Offiziell hatte man damals nach kurzer Zeit alle Nekromanten ausgemerzt. Angeblich gab es aber noch irgendwo, tief im Untergrund, noch versteckte und heimliche Praktizierer der verbotenen Kunst, und man musste Obacht geben, nicht etwa damit in Verbindung gebracht zu werden. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie einst als Kind einen Raubvogelschädel in den Mooren gefunden und fasziniert nach Hause gebracht hatte. Ihr Vater hatte gewütet. Ihre Gouvernante hatte geweint. Ausflüge in die Moore waren auf ewig verboten worden. Sie hatte nie wieder einen Schädel angefasst gehabt.
Auch die Erforschung der Insel bewegt sich nun voran. Wir hatten die Ehre, zur Erforschung einer Höhle mit seltsamen braunen Kristallen eingeladen zu werden. Der Weg dorthin war ein wenig holprig gewesen, doch Meister Livius - ein hiesiger Magier - und Fenrik gaben bestens auf mich Acht. Die Erkenntnisse, die wir in der Höhle vorfanden, waren in magischen Belangen von höchstem Interesse, und die Akademie wird sicher froh sein, davon zu erfahren. Die Forschungsarbeiten hier dürften allerdings noch länger andauern, ich muss dich daher leider um etwas mehr Geduld hinsichtlich meiner Rückkehr bitten.

'Du sollst nicht lügen.'
Die Stimme ihres Vaters dröhnte in Eliras Ohren, als sie auf die knappen Zeilen hinabsah. Sie hatte nicht gelogen, nicht in dem Sinne, doch... zählte etwas, was so knapp über die Geschehnisse hinwegwischte, noch als Wahrheit? Sie biss sich auf die Unterlippe. Vielleicht sollte sie ja alles aufschreiben? Berichten, von dem Kampf in den Trollschluchten, dem sie verängstigt (und, bei aller Wahrheit, recht nutzlos) von hinten gefolgt war? Von Ba'thal, dem Lichtelf (einem echten Lichtelf!) der für wenige Minuten zum Trollkönig gekürt wurde? Von der rätselhaften Höhle, dem Geheimgang, dem Götterdrachen in Ketten, die so boshaft und schwarz waren, als hätte die Hand des Todes selbst sie gemacht? Elira spürte einen gewissen Unwillen, rechnete die Folgen eines echten Berichtes durch, und beschloss, dass eine knappe Wahrheit immer noch keine Lüge war. 
Fenrik lässt übrigens grüßen.





 
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Elira Raureif
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Re: Liebster Roderik

Beitrag von Elira Raureif »

Lieber Roderik,

die Tage werden kürzer, und es scheint nun doch stramm auf den Winter zuzugehen. Ohne einen warmen Schal um die Schultern mag man das Zimmer nicht mehr verlassen, und draußen, vor allem in den Bergschluchten, pfeifft einem der Wind zumal so eisig um die Ohren, dass es auch einer Kapuze bedarf. Manch ein Inselbewohner scheint hier jedoch aus deutlich härterem Holz gemacht als ich es bin, und so sieht man neben jenen in Umhängen und Schals auch solche, die die beißende Kälte gar nicht zu bemerken scheinen. Erst kürzlich sah ich sogar eine Frau, die ein so hauchdünnes Kleid trug...


Elira ließ die Feder sinken und sah aus dem Fenster. Der trübe Himmel draußen schien seit Tagen nicht aufreißen zu wollen, so dass man sich beständig fragte, ob es immer noch nicht hell oder schon wieder dunkel sei. Der Blick aus ihrem Zimmer ging hauptsächlich zum Felshang, so dass man nicht allzu viel der Bäume zu sehen bekam, doch die aus ihrem Fenster sichtbare Krüppelbirke, die sich mittels überlanger Wurzeln und vermutlich irgendeiner Art von Birkenmagie am steinernen Hang festhielt, hatte mittlerweile fast all ihre Blätter an den unbarmherzigen Wind verloren. 

Sie schauderte und sah zu ihren Zeilen hinab, um den letzten, begonnenen Satz nach kurzem Überlegen zu streichen. Sie strich in letzter Zeit recht oft begonnene Gedanken aus Briefen an Roderik. Es machte nichts. Elira gehörte zu den Personen, die alle Briefe und Nachrichten erst entwarfen, und dann nochmals sauber aufzeichneten. Keiner will ein Schreiben mit unbedachtem Wortlaut oder Tintenklecksen sehen, so hatte es ihr ihr Vater eingebläut. "Schreib schön, schreib sinnvoll, schreib sachlich. Und halte dich kurz, um des Herrn Willen. Niemand interessiert sich so sehr für deine Gedanken, dass er mehr als eine Seite davon lesen wollen würde."

Ihre Briefe waren immer vorbildlich - und angemessen kurz.
Die Erkundung um den Fund der Kristalle, von dem ich demletzt berichtete, geht derweil voran. Ich will dich nicht mit Details um die bislang gewonnenen Erkenntnisse langweilen, diese sind am Ende lediglich von wissenschaftlichem Gehalt. 

Sie drehte die Feder unruhig in den Fingern und verknickte sie prompt in ihrer Nervosität. Nichts davon war gelogen, und konnte doch der Wahrheit kaum ferner sein. Es war damit nicht direkt fair...oder korrekt, aber sie konnte Roderik unmöglich von Hornblume erzählen. Vielleicht würde er noch Interesse entwickeln. Vielleicht würde er jemanden senden, um einen Vorteil aus dem wehrlosen Geschöpf zu schlagen, oder gar selbst kommen. Vielleicht würde er die Information weiterverkaufen. Roderik war sehr gut darin, den Preis von etwas zu erkennen - jedoch nie den Wert.

Elira stellte mit sachtem Erstaunen fest, dass es sie ärgerte, zog die Feder gerade, und versuchte den Ärger mit Tinte und Papier zu unterdrücken.
Es wird dich allerdings sicherlich interessieren zu erfahren, dass es hier ein Schützenturnier gegeben hat. Es traten neben etlichen Menschen auch eine Waldelfe und eine Dunkelelfe an. Sicher freut es dich zu erfahren, dass Fenrik teilnahm, und trotz dieser schwersten Konkurrenz Vierter wurde. Gewonnen hatte natürlich die Waldelfe, wie erwartet. Sie heißt übrigens Varyariel und ist, wie man es von ihrer Art auch erwarten sollte, ein eindrucksvoll schönes Wesen. Zudem glaube ich, dass sie sich in ein Eichhörnchen verwandeln kann, aber ganz sicher bin ich mir da nicht. 

Würde Roderik das für Flausen halten?

Die junge Frau runzelt die Stirn, die eigenen Zeilen musternd. Sicher, Verwandlungen von Magiern in bestimmte Tiere waren auch in ihrer Heimat nicht unbekannt. In Elerin ging sogar die Legende von einer Meisterin des Astralwirkens, die sich einst in eine Krähe verwandelt hatte, und dann für immer in dieser Gestalt verblieben war. Manchen Erzählenden zufolge sollte sie es wegen eines gebrochenen Herzens getan haben. Andere Geschichten sprachen vielmehr davon, dass sie sich in ihren Studien mit Nekromanten verbandelt hatte, und in Krähenform der Gerechtigkeit zu entfliehen trachtete. Wieder andere sprachen bewundernd von einem Experiment, dem die geflügelte Magistra ihr Leben gewidmet hatte: Eine Existenz als Krähe, zu Zwecken der Wissenschaft. Und natürlich gab es auch jene, die davon ausgingen, dass die Magierin lediglich ein missgünstiges altes Weib war, das auf diese Weise die Nachbarschaft terrorisieren wollte. Was immer es jedoch war, und ob überhaupt ein Korn Wahrheit in der Geschichte lag, blieb am Ende verborgen: Doch gehörte es in Elerin stets zum guten Ton, Krähen zuvorkommend zu behandeln, was die geflügelten Biester über Jahre zu einer Plage für die Stadt hatte werden lassen.

Elira beschloss, dass das mit dem Eichhörnchen womöglich doch nicht so wild klang, und bog die Feder in ihrer Hand wieder gerade. Sie musste mit dem Knicken aufpassen.
Weniger erfreulich ist jedoch der Ärger, den uns manche Dunkelelfen machen. Du musst wissen, es gab auch einen Wettbewerb der scharfen Worte, im Übrigen ausgerichtet von dem gleichen Herrn Tyladriel, der auch das Schützenturnier vorstellte. Dort fochten Fenrik und Lin gegen Einige des dunklen Volkes und sollen dabei so spitzzüngig gewesen sein, dass es gewisse Ressentiments zurückließ. Ich selbst war bei dem Duell nicht dabei, ließ mir aber sagen, dass es wohl recht boshaft zuging. In jedem Falle wird nun ein Lobpreisen der Oberin des Dunkelelfen gefordert. Ich glaube, Fenrik ließ ihr bereits eine Rose zukommen, und wir hoffen, dass sich die Sache damit legt. Du brauchst dich also nicht zu sorgen. Für die Zukunft werde ich den Anderen davon abraten, an weiteren orginellen Wettbewerben des Herrn Tyladriel teilzunehmen. Am Ende könnte die Insel nicht genügend Rosenbüsche haben.

Das würde er nicht mögen. Keinesfalls. Elira starrte auf die Zeilen hinab. Das würde er ganz und gar nicht mögen. Es wäre besser, das zu streichen. Besser, von etwas Angenehmerem zu berichten, oder von Schwierigkeiten, die nicht ganz so einprägsam waren. Von dem Dauergerüst um die Bäckerstube beispielsweise, und wie es Aussicht verdarb. Oder von Elnoras Herausforderung an den Bürgermeister Nebelhafens. Roderik mochte Politik, und das fiel mit Sicherheit darunter. Man könnte auch etwas über die Handelssituation von Nebelhafen schreiben (es gab keine Situation) oder die Ernte (vermutlich wurde irgendwo etwas geerntet).

Man könnte... Ein Knacken riss die junge Frau aus den Gedanken. Einige Atemzüge lang starrte sie leeren Kopfes die Sumpfhuhnfeder an, die letztendlich gebrochen in ihren angespannten Fingern hing. Der Blick glitt voran, zu den eigenen Zeilen. Den Tintenklecksen. Den begonnenen und nie vollendeten Sätzen, den gestrichenen Worten und verschluckten Gedanken.

Elira saß noch einige Minuten still da und sah hinab. Schließlich fasste sie die kaputte Feder langsam nahe der Spitze, tauchte sie ein, die Finger mit Tinte beschmierend, und setzte einen Gruß unter die Zeilen. Dann nahm sie das Schreiben auf, faltete es, und steckte es in einen Umschlag. Es war mühsam, ihre Finger zitterten. Vor Ärger, wie sie mit hintergründigem Staunen analysierte. Nein. Die Erkenntnis kam einen Augenblick später. 

Vor Wut.





 
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Elira Raureif
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Re: Liebster Roderik

Beitrag von Elira Raureif »

Womit fängt man einen solchen Brief an?

Elira schloss die Augen und atmete tief ein. Es roch neu: Und allmählich doch vertraut. Nach geöltem, schweren Segeltuch, aus dem die Wände des Zeltes gefertigt waren. Nach noch neuem Stoff für Kissen und Teppiche. Nach trockenen und frischen Kräutern, die sie an den Stangen entlang aufgehangen hatte. Nach Tee und Gebäck. Nach Lederfett, nach Herbstäpfeln, Seife und Feuerholz. Von draußen hörte man leises Trommeln von Nieselregen auf dem Zeltdach, der sich mit dem Rauschen der nahen Brandung mischte. 

Vielleicht sollte sie damit anfangen.
Lieber Roderik,

ich habe ein neues Zuhause gefunden. Es wird dir allerdings kaum gefallen: Es ist ein Zelt. Sicher, ein schweres, befestigtes Zelt mit stabilen Holzstangen und einer Feuerstelle, aber dennoch, bloß ein Zelt. 


Es war natürlich mehr als bloß ein Zelt. Elira mochte es - mehr, als sie es hätte in Worte fassen zu können. Es lag nicht nur daran, dass sie erstmals im Leben nicht mit den Geräuschen einer Stadt wach wurde und einschlief, dass niemand mehr mitten in der Nacht an ihrer Türe vorbeitrampeln konnte oder betrunken vor dem Fenster gröhlte (wenngleich sie Cillian noch im Verdacht hielt, Letzteres früher oder später zu tun). Nein, das Wichtigste war, dass die abenteuerliche Behausung vor den Toren Nebelhafens erstmals niemand Anderem gehörte als ihr. Nicht ihrem Vater, nicht der Akademie, nicht Roderik oder einer Tavernenwirtin. Sie lächelte dem Gedanken hinterher, ehe sie weiterschrieb. 
Ich fürchte indes, auch meine Nachbarn hier wirst du nicht mögen. Sie sind, offen gestanden, zwielichtig, manche kommen von der Straße, und eine davon ist nicht mal ein ganzer Mensch. Um weiters bei der Wahrheit zu bleiben, ist Nebelhafen generell nicht so pittoresk wie ich es dir initial beschrieb. Es ist voller seltsamen Volks und Menschen ohne Nachnamen, mit denen ich ebenso Umgang pflege. Du magst sagen, dass ich dir das hätte früher berichten müssen, und du hättest sicher Recht damit.

Sie drehte die Feder in den Fingern. Eine neue Feder - schwarz, vielleicht von einem Raben oder einer Krähe, für wenige Münzen auf dem Markt erworben. Die Feder war etwas kratzig und deutlich schwergängiger im Schreiben als jene, die Roderik ihr geschenkt hatte, aber sie würde dem Zweck des Schreibens genügen. Sie würde sich später eine neue Feder kaufen können. Nun, wo war sie stehen geblieben?

In der Tat habe ich dir noch viel mehr verschwiegen als das. Teils aus Erkenntnis, dass es nicht dein Interesse treffen würde, und teils weil ich Sorge hatte, dass du mich zurück nach Erinoth befehligen würdest. Und diese Sorge war immerhin nicht unbegründet, nun, da du eben dies tust. Ich bedaure es im Übrigen, wie wenig dich meine letzten Briefe erfreut haben.

Wenig erfreut war noch untertrieben. Roderiks jüngster Brief war knapp und bar des üblich Jovialen gewesen, den sein Ton für gewöhnlich, selbst im Schriftlichen, ihr gegenüber trug. Er las sich offen gereizt, gereizt und beunruhigt von der offensichtlich fehlenden Sorgfalt ebenso wie von dem Inhalt ihres letzten Schreibens. Hatte sie ihn reizen wollen? War es Fenriks Einfluss, einmal wieder? Elira tippte sich mit der Federspitze an die Lippen. Der Gedanke hatte etwas unangemessen Amüsantes an sich.
Ich verstehe also, dass du mich anweist, zurückzukehren. Und du sollst wissen, dass ich ernstlich darüber nachgedacht habe. Die Entscheidung fällt jedoch dargestalt aus, dass ich deiner Aufforderung nicht nachkommen werde. Nicht jetzt, und nicht später. Ich will damit sagen - und hier komme ich deiner Bitte, mich in meinen Schreiben an dich klarer und knapper zu halten, gerne nach - dass ich gar nicht zurückkehren werde.

Das war es. Sie hatte es ausgesprochen - ausgeschrieben. Elira zog die Feder vom Papier, starrte gleichgültig auf den dabei hinterlassenen Tintenklecks, und las die eigenen Worte mehrfach durch. Sie hatte es geschrieben, einfach so. Roderik bestand immer darauf, alles Wichtige schriftlich festzuhalten. "Was nicht aufgeschrieben wird, zählt nicht." Und nun, da die junge Frau auf ihr eigenes Schreiben niedersah, begriff sie erstmals vollends, was er damit meinte. Aufregung prickelte ihren Nacken hinauf. Würde es reichen? Sollte sie noch etwas ergänzen? Ah. Noch eine Sache.
Fenrik kommt übrigens auch nicht zurück. Wir wünschen dir gleichwohl alles Gute. 

"Ich nicht."

Eine Stimme schnarrte über ihrer Schulter auf.  Elira wandte den Kopf, fing den skeptischen Blick des Schwarzschopfes hinter sich auf, und schenkte ihm ein kurzes, zähneblitzendes Auflächeln.

"Lass uns so tun, als ob."

Wie beendete man so einen Brief? 

Sie dachte einige Augenblicke darüber nach, drehte die Feder abermals in den Fingern. Eigentlich lag diese doch ganz gut in der Hand. Vielleicht würde sie die Feder auch behalten. Die junge Frau tauchte die Spitze in das Tintenfässchen, nachdenklich über die eigenen Zeilen blickend. Eigentlich... eigentlich war das Ende recht einfach. 
gez. Elira
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