Die schmerzhafte Vergangenheit von Knut
Knut wusste, was Leiden bedeutete. Die Tiefen des Unterreichs, wo das Licht der Sonne niemals eindrang, hatten ihm das den Großteil seines Lebens und bereits zwei Male sehr eindrucksvoll gezeigt. Als Kleinkind war er von der Dunkelheit verschluckt und zum ersten Mal in die Fesseln der Dunkelelfen gesteckt worden. Ihre emotionslosen Stimmen hallten in seinen Ohren, jedes Mal, wenn sie ihn misshandelten. Jede Morgendämmerung, die in den Tiefen des Unterreichs nur eine leichte Aufhellung der ewigen Dunkelheit bedeutete, zerrten sie ihn aus der kargen Zelle, deren steinerner Boden von den Tränen so vieler Sklaven durchtränkt war. Sie zwangen ihn bereits als Kind, in den finstersten Ecken des Unterreichs seltene Erze und Edelsteine abzubauen. In der beklemmenden Enge der Minen, wo die Dunkelheit selbst die lautesten Schreie verschluckte, schärfte er schon früh seinen Sinn für das Gestein und seine Fähigkeiten als Bergmann.
Die Folter, die ihm widerfuhr, war nicht nur physisch. Nach einem missglückten Fluchtversuch wurde Knut von Orks gefangen genommen und den grausamen Dunkelelfen brutal übergeben. Als Strafe setzten sie ihm eine riesige, schwarze und überaus hungrige Spinne, unter den Sklaven bekannt als die "Augen-Diebin", aufs Gesicht. Mit ihren scharfen Zähnen bohrte sie sich in sein linkes Auge, und während ein brennender Schmerz seinen Kopf durchzuckte, erlosch sein Augenlicht auf dieser einen Seite, und das letzte Bild, das sich ihm einprägte, war das triumphierende Grinsen eines Dunkelelfen.
Ein anderes Mal, als er einen Edelstein beschädigte, ließen die Dunkelelfen ihn hungern, während sie sich an einem üppigen Festmahl delektierten, nur um ihm zu zeigen, wo sein Platz war. Er konnte den verführerischen Duft ihrer Speisen riechen, doch für ihn gab es nur ein Stück trockenes Brot. Trotz dieser Torturen entwickelte Knut eine eiserne Willenskraft und eine unbeugsame Entschlossenheit. Mit der Zeit lernte er die Kunst des Schmiedens, die in der feindlichen Umgebung des Unterreichs vor allem seinen Sklaventreibern diente. Doch ein jeder Hammerschlag, den er ausführte, war ebenso ein stiller Akt der Rebellion gegen seine Unterdrücker.
Der Neuanfang in Winterberg
Dann kam der Tag seiner Flucht, der Tag, an dem er die Fesseln der Dunkelelfen, wie er dachte, für immer hinter sich ließ. Mit den Fähigkeiten, die er im Unterreich erworben hatte, fand er Zuflucht und eine neue Heimat in Winterberg. Die Jahre vergingen, und obwohl die Narben seines Körpers verblichen, blieben die seines Herzens. Er hatte Bier erst spät für sich entdeckt und spürte schnell, wie das Getränk ihm half seine Vergangenheit zu vergessen und ruhiger schlafen zu können.
Die verschneite Stadt, mit ihren prächtigen, von Schnee bedeckten Mauern, wurde zu seinem Zuhause und seiner Festung. Die Kinder von Winterberg spielten in den Gassen und bauten Schneemänner, während der Duft von gebratenem Fleisch und Gewürzwein durch die Lüfte zog. Es war eine Idylle, die Knut so dringend gebraucht hatte. Die Ostmine wurde schnell zu seiner Arbeitsstätte und er fühlte sich wohl in seinem neuen Zuhause.
Es war hier in Winterberg, wo Fenria, die Edle Truchsess von Silberburg und Winterberg, ihn inspirierte, sich darin zu üben Kanonen zu erstellen, um alle rechtschaffenden Arbeiter, Händler und Bürger zu verteidigen. Sie überzeugte ihn von den Vorteilen von Kanonen für die Verteidigung der Städte und übergab ihm alte Schriften, in denen die Geheimnisse alter Handwerksmeister verschlüsselt waren, die den Bau solch beeindruckender Waffen beschrieben.
Innerhalb der schützenden Stadtmauern Winterbergs begann er seine Arbeit an solchen schlagkräftigen Kanonen vor nun über sechs vollen Monden. Doch das Gießen einer Kanone war kein einfacher Prozess. Das Metall musste in genau der richtigen Temperatur geschmolzen werden, und selbst dann konnte ein kleiner Fehler im Guss oder während der Härtung dazu führen, dass die Kanone bei ihrem ersten Einsatz zerbarst. Hinzu kam das Problem, das Kanonenrohr so präzise wie möglich zu gießen, ohne dass sich Kugeln darin verhaken und exakt sowie mit viel Druck abgeschossen werden können. Er scheiterte Woche um Woche in seiner kleinen Werkstatt neben seinem Haus in Winterberg. Mal blieb die Kanonenkugel stecken, mal war zu viel Platz zwischen Kugel und Rohr, und mal zeigten sich bereits nach dem ersten Schuss Risse oder das Kanonenrohr explodierte gar ganz und schleuderte die Einzelteile gefährlich herum.
Doch das Schicksal war grausam. Die Jahreszeiten zogen weiter, und die Bäume verloren ihre Blätter, als das Unglück Winterberg traf. Ein mächtiger Sturm, von Donner und Blitzen begleitet, kündigte das Desaster an. Ehe er sich versah, begruben Geröllmassen und Lawinen das geliebte Winterberg. Er konnte gerade noch rechtzeitig fliehen und seine Kanonenmuster mitnehmen. Mit schwerem Herzen und den Lasten seiner Vergangenheit auf den Schultern, trieb ihn das Leben weiter, bis er schließlich in Silberburg landete. Hier, in der Festung der Ritter, stellte er seine Modelle im Hof auf und errichtete erneut seine Werkstatt.
Nun fallen bald die Blätter von den herbstlichen Bäumen und der Winter naht. Winterberg gibt es nicht mehr. Doch jeder Hammerschlag, jedes neu gegossene Kanonenmuster war ein Schritt näher zu seinem Ziel und ein weiterer Beweis seiner beispiellosen Beharrlichkeit. Wenn die Menschheit erst einmal über diese zerstörerischen Waffen verfügen würden, so könnten sich alle Arbeiter, Händler und Bürger gegen jede nur vorstellbare Gefahr verteidigen. So dachte er jedenfalls, und dieser Gedanke, gepaart mit den Erinnerungen an seine Qualen die er niemals mehr ein drittes Mal durchleben möchte, trieb ihn weiter an.
Konflikte in der neuen Heimat
Nachdem Knut in Silberburg Fuß gefasst hatte, kam es jedoch zwischen ihm und Fenria, der Truchsess der Menschenkrone, zu einem heftigen Streit. Das Thema war die Eingliederung der Winterberger Miliz in die Silberburger Stadtwachen. Für Knut, der so viel in Winterberg verloren hatte, bedeutete diese Fusion, dass die letzte Erinnerung an seine geliebte Heimatstadt schwinden würde. In einer emotional aufgeladenen Diskussion sprach er harsch und direkt zu Fenria, ein Verhalten, das in Silberburg und gegenüber einer Person ihres Ranges wohl als tief respektlos angesehen wurde.
Wenn er bleiben wollen würde, solle er Dienst als Strafrekrute im Ritterorden machen. Auch, um sich an das Leben und den Umgangston in der Stadt zu gewöhnen. Sechs Monate lang musste er seine Loyalität und sein Können unter Beweis stellen. Doch trotz der Strafe sah man seinen Wert: er bekam Schutz, eine Unterkunft, eine Werkstatt, Material und Unterstützung. Abends genoss er das beste Bier der Lande, aß prächtigen Braten nach getaner Arbeit und konnte sich in Silberburg frei bewegen.
Schnell wurde ihm klar, dass er in einer vollkommen anderen Welt gelandet war. Es war nicht nur die Disziplin und Formalität der Ritterordnung, die ihn überraschte. Es war das gesamte Umfeld: die kühle, klare Bergluft von Winterberg spürte er hier nicht mehr, das stetige Klirren von Rüstungen im Hintergrund und die ehrwürdige Architektur der Burg, die Geschichten aus einer Zeit erzählten, als Ehre und Ritterlichkeit schon die Welt regierten.
Reflexion und Hoffnung
Jeder Tag begann vor Sonnenaufgang, wenn die Trommeln der Wachen hallten und die Rekruten zum Morgenappell gerufen wurden. Trotz der Anstrengung fand Knut Freude darin, den metallischen Klang des Ambosses zu hören, wenn er in seiner eigenen Werkstatt arbeitete, und die Wärme des Feuers zu spüren, das die kalten Steine der Burgmauern milderte. Abends, nach einem langen Tag, ließ er sich das kräftige und wärmende Ritterbräu schmecken, ein Gebräu, das ebenso kraftvoll war wie die tapferen Herzen der Bürger dieser Lande.
Obwohl er sich noch immer wie ein Fremder fühlte, ging er motiviert seinen Aufgaben nach. Darin kann er sich flüchten, denn im Berg und an der Esse fühlt es sich immer gleich an. Als er in dieser Nacht von den Zinnen der Burg auf die funkelnden Lichter von Silberburg hinunterblickte, wurde ihm klar:
Selbst inmitten der Dunkelheit konnte ein Funken Hoffnung die Nacht erhellen.