Elira setzte die Feder ab und musterte die Worte. Liebster Roderik. Ja. Ein guter Anfang. Solide. Unproblematisch.Liebster Roderik,
Sie nickte sich selbst zu, tauchte die filigran silbergefasste Sumpfhuhnfeder (ein Geschenk Roderiks: "Weil du mein kleines Sumpfhuhn bist") in Tinte ein, und schrieb weiter.
Waren sie das? Die Hälfte der Zeit während der Überfahrt hatte einer der Dreien über der Reling gehangen. Am fünften Tag auf See war das Schiff zudem in einen so heftigen Sturm geraten, dass Elira überzeugt gewesen war, die hölzerne Schale der "Sonnenläuferin" würde jeden Moment auseinander brechen, und alle an Bord in die wirbelnde Untiefe der See gezogen werden, um dort von Haien und riesigen Oktopussen - der Art, die sie nur auf Bildern gesehen hatte - gefressen zu werden. Den Gedanken an Oktopusse fand sie dabei besonders beunruhigend, mit all den Fangarmen und dem finsteren Blick, und, so man den Bildern glauben mochte, manchmal auch Vampirzähnen. Aber das war am Ende nichts, was zählte. Was zählte, war die wesentliche Information, und das war nun eben die, dass sie gut angekommen waren. Gut im Sinne von in einem Stück und mit all ihrem Gepäck an sich. Das war, was interessierte. Nicht ihre Ängste vor Stürmen und Oktopussen.Wir sind gut angekommen.
Elira stockte erneut und starrte die Worte an. Sie war sich nicht sicher, ob pittoresk wirklich das richtige Wort war, aber mit etwas Wohlwollen war es bestimmt...nicht direkt falsch. Was die freundlichen Bewohner anging, nun, die Bürgersprecherin war mehr als liebenswürdig, ebenso wie die Tavernenwirtin, die Halbelfe, und der Druide mit einem eklatanten Mangel an Hemden (was ihn in Eliras Augen jedoch nicht zu einem schlechteren Menschen machte). Dann waren da jedoch noch Dunkelelfen und sie war sich sicher, am Vortage einen Ork gesehen zu haben. Es musste ein Ork sein. Kein Mensch konnte ein solches Gesicht haben, nicht einmal nach sehr viel Schnaps. Andererseits...waren das sicher keine Bewohner. Eher Gäste. Man konnte es stehen lassen.Nebelhafen, unsere vorerst neue Heimat, ist eine pittoreske kleine Siedlung im Aufbruch, und die Bewohner recht freundlich.
Sie verzog das Gesicht, noch während sie das letzte Wort schrieb. Sicher. Solange man die beiden Drachen im Berg übersah. Und die tollwütigen Tiere, die einem zumal nachstellten. Und den Vorfall mit der Nekromantin am Vorabend, die noch etwas unangenehmer war als ein Oktopus. Andererseits...niemand hatte gestern sie persönlich bedroht, und die Anwesenheit von Shira und dem schlecht gelaunten Magier (Lavius? Lovius? Livius? Sie musste nochmal nachfragen) hatte eine gewisse Sicherheit vermittelt. Zudem war da noch Wintal, der ja theoretisch auch...irgendwie... für Sicherheit sorgte? Im letzteren Punkt war sie vollends unschlüssig. Er fühlte sich nicht gerade sicher an. Nein, das ging so nicht.
Auch die Gegend um Nebelhafen herum hat ihren Reiz. Es gibt hier wunderschöne Wälder, einen Quellwasserfluss, verborgene kleine Grotten und Wiesen. ich fand sogar einen Sumpf, und fühlte mich doch sehr an Zuhause erinnert. Überall fühlt man sich recht sicher.
Elira seufzte, und strich den letzten Satz, um dann ein neues Blatt heranzuholen. Draußen vor dem Fenster zog ein weiterer goldener Herbstnachmittag vorbei. Der auffrischende Wind trug den Geruch von Blättern und warmem Moos heran. Sie schloss die Augen, atmete durch, und schloss dann das Fenster. Konzentration. Auf ein Neues.
Liebster Roderik...