Silberne Schicksalsfäden

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Giordano Argento
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Silberne Schicksalsfäden

Beitrag von Giordano Argento »

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Leise knisterte und knackte das Holz an seiner linken Flanke, wie das Feuer sich an den im Kamin gestapelten Holzscheiten labte. Die tobenden Flammen züngelten in einem unruhigen Tanz in die Höhe, umschlungen sich selbst und kämpften darum, wer am hellsten und kräftigsten scheinen würde. Sie stiessen eine willkommene Wärme aus, die ein feines Kribbeln auf der Haut auslöste und kurz darauf von einer Gänsehaut komplementiert wurde, die dazu führte, dass die rauen und von schwerer Arbeit gezeichneten Finger über die entgegengesetzten Unterarme rieben. Wechselhaft und lebendig zeichnete sich ein Schattenspiel auf den Wänden des Raumes ab und luden förmlich dazu ein, sich eine passende Geschichte dazu auszumalen und der Fantasie freien Lauf zu lassen.
Seine Aufmerksamkeit galt jedoch einem Pergament in seinem Schoss, nach dem seine Hände in einer zähen Bewegung griffen. Nachdenklich liess er jenes zwischen den Fingern in einer ungleichmässigen Geschwindigkeit rollen, wobei die Zeigefinger hier und da sacht darauf tippten. Das silberblaue Iridenpaar des Mannes glitt mit einem abschätzendem Ausdruck über den Brief, der eigentlich schon längst auf Reisen hätte sein müssen.

Das Gespräch an diesem Abend verlief nicht wie erhofft. Vieles wurde preisgegeben, Antworten geliefert, denen er kürzlich erst noch auswich. Töricht von ihm, Verletzlichkeit in diesem Ausmass zu zeigen und willentlich einen wunden Punkt zu präsentieren, von dem Gebrauch gemacht werden konnte. Wozu? Damit die Reaktion gänzlich anders ausfiel, als er es sich ausgemalt hatte. Er war tatsächlich bereit, diesen Schritt zu gehen. Die Konsequenzen zu tragen, denen er sich ausgesetzt gesehen hätte. Eine beständige Gefahr, im Nacken lauernd zu wissen. Ungewissheit, wann der Tag des Gerichts kommen würde. Doch zu sehen, wie damit umgegangen wurde, dass es nicht so verlief, wie er es sich ausgemalt hatte. Nein, das akzeptierte er nicht.
Langsam, doch beständig keimte etwas lauerndes in seinem Inneren heran, geboren aus der Wut, die in ihm brodelte. Träge löste er den Fokus von dem Pergament und richtete sein Augenpast auf die Fensterscheibe aus, in dem sein Spiegelbild durch das Licht des Kamins vage zurückgeworfen wurde. In diesem Moment traf ihn die Erkenntnis. Unbeugsame Entschlossenheit flackerte in den silberblauen Iriden auf, wie sie einem jedem Argento in die Wiege gelegt wurden. Die Augen seines Vaters sahen ihm entgegen, die er so sehr verabscheute und doch konnte er nicht, als einen Mundwinkel voller Bitterkeit anzuheben. Vielleicht war er doch nicht so anders, wie er dachte.

Das Knacken eines der Holzscheiten riss ihn aus seinen Gedanken und liessen den Istraymer kurz gedankenverloren blinzeln, bis seine Aufmerksamkeit wieder von dem Pergament aufgefangen wurde, das er in den Händen hielt. Langsam drehte er den Oberkörper zur Seite, um sich reckend näher an den Kamin zu begeben und nach einem der kleinen Äste zu greifen, deren Spitze brannte. Damit liess er sich anschliessend zurück gleiten und hielt das Feuer In einer rotierenden Bewegung unter den Brief, während er geduldig darauf wartete, dass die kleinen Flammen auf das Pergament übergingen.
Vor seinem inneren Auge spielten sich diverse fiktive Szenarien ab, die sein Handeln festlegen sollten. Manche dieser Bilder hatte er weitergesponnen, andere verflüchtigten sich so schnell, wie sie kamen. Nach kurzer Zeit war der Entschluss jedoch gefasst. Ein grober Plan auf die Beine gestellt. Überzeugt hatte es ihn nicht. War es vielversprechend? Ungewiss. Das würde die Zeit offenbaren. Davon hatte er zu seinem Glück noch ein reiches Polster, aus dem er noch eine Weile schöpfen konnte.

Kaum war der Brief gänzlich von den Flammen verschlungen worden und nichts mehr als verkohltes Papier und Asche übrig, sah er sich das zweite Mal an diesem Abend nach einem Pergament greifen. Die Rückstände wurden fein säuberlich mit der Handkante zur Seite gewischt und damit im gleichen Zuge Platz für das Tintenfässchen und das Federkiel gemacht. Geübt und fein säuberlich, bemüht um ein schönes Schriftbild und offiziellem Eindruck, brachte er die Letter zu Papier und besah sich dann die im Vergleich doch recht knapp ausgefallene Nachricht, die er versenden würde.

Solgard Ratsgebäude
Giordano Argento

Istraym
Ephento
Schicksalsgasse 5
z.H. Eligio Ivano Argento

1. Tag des 5. Monats im Jahre 0 nach der Wende


Des Patrons Geleit, Vater

Ihr habt diese Zeilen sicherlich bereits sehnlichst erwartet, wo Ihr doch gefordert habt, zum frühestmöglichen Zeitpunkt über die Entwicklungen informiert zu werden, vorausgesetzt Eure Vögelchen haben Euch nicht schon die neue Kunde ins Ohr gezwitschert.
An dieser Stelle wäre es übrigens angebracht, ein Lob auszusprechen. So charmant und einnehmend, wie die bildhübsche Dame war, die Ihr mir auf den Hals gehetzt habt, wäre mir beinahe entgangen, dass ihre einzige Absicht es war, mich auf die Probe zu stellen und am Land ein Auge auf mich zu werfen. Es wird Euch erfreuen, dass die einzige Form der Beglückung, die sie durch mich erfahren hat in der Form von einer Hand voll Taler offeriert wurde, die ihr für die Rückreise nach Istraym mitgegeben wurden - hier wäre wiederum eine Entschuldigung angemessen, dass Euer Plan nicht gänzlich aufging. Welch Unglück!

Wie dem auch sei. Dieses Schreiben dient allerdings nicht der Aufklärung über den Verbleib Eurer kleinen Spionin, sondern um Euch darüber in Kenntnis zu setzen, dass ich auf Silber stiess. Die Sicherung stellt sich als schwerer heraus, als mir lieb wäre. Rechnet nicht mit einer baldigen Rückkehr, doch seid Euch sicher, dass ich mein Bestes geben werde, um Euren Wunsch zu erfüllen.

In der Zwischenzeit könnt Ihr vielleicht ein Pläuschchen mit unseren geliebten Nachbarn, den Pfirsichliebhabern, führen. Erinnert Ihr Euch noch an den gefallenen Grymaldi? Pietro, sein Name.
Wie ich in Erfahrung bringen konnte, planen sie, Güter aus Istraym zu überführen. Ihr versteht sicherlich, worauf ich hinweisen möchte. Ein paar Kontrollgänge mehr im Hafen würden sicherlich nicht schaden - sofern das Angebot, dass ich ihm unterbreiten werde, ausgeschlagen wird.
Doch ich zweifle daran, wo unser Freund mir ein Angebot unterbreitet hatte, das ich anfangs ablehnen wollte, mir inzwischen jedoch in die Karten spielt. Seid daher gewarnt, dass Gerüchte Istraym erreichen werden, die davon berichten, dass ein Argento sich mit einem Grimaldi zusammenschluss. Ich verspreche, dass es früher oder später Sinn ergeben wird und Ihr Eure Erklärung erhalten werdet. Gebt Euch bis dahin Mühe, den Boten, der diese Kunde an Euch herantragen wird, nicht zu belästigen.

Ihr werdet erneut von mir hören, sobald es neues zu berichten gibt.

gez.
Giordano Argento

Noch am darauffolgenden Tag, in den frühen und kühlen Morgenstunden und geborgen in dem oranggelbenen Schimmer der aufgehenden Sonne, würden aufmerksame Augen beobachtet haben können, wie sich der Argento länger mit einem Mann unterhielt, der kurze Zeit später durch ein selbst geschaffenes Portal trat und damit mitsamt des ausgehändigten Briefes im Nichts verschwand. Das Letzte, was man dem Argento ansehen konnte, bevor er sich zurückzog, war, wie sich ein mattes Lächeln auf die Lippen des Mannes legte, das stumm davon zeugte, dass es noch nicht vorbei war.

~•°•~
Zuletzt geändert von Giordano Argento am 11 Mai 2024, 15:48, insgesamt 1-mal geändert.
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Giordano Argento
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Re: Silberne Schicksalsfäden

Beitrag von Giordano Argento »

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Die Sonne hatte ihren Zenit schon seit einigen Stunden überschritten und setzte wie jeden Abend zum ewigwährendem Kampf gegen den Silbernen an, der sich mit der eintretenden Dunkelheit in den Vordergrund zu drängen drohte. Das Firmanent wurde von einer rot-orangenen Färbung geschwängert und erweckte gepaart mit dem ungleich geformten Meer an Wolken den Eindruck, als stünde der Himmel in Flammen.
Ein sanfter Zug trug die letzte Wärme des Sommerwindes an diesem Tag durch die kunstvollen Gassen Strias, wie die Kinder auf den grossen, kunstvollen Versammlungsplätzen spielten. Hier das Gelächter von Kinder, da die heiteren und ausgelassenen Gespräche einiger Gruppierungen, die im Wintergarten der hiesigen Gasthäuser den Abend ausklingen liessen. Dazu noch lebhafte Musik, die Gefühle aufkeimen liess und Junge, wie Alte zum Tanz einlud. Ein Traum für all diejenigen, die das Leben zu geniessen wussten.
Der junge Argento sass derweil auf einem erhöhten Sitzplatz auf dem Balkon des Familienanwesens, das Kinn auf dem Geländer platziert. In der rechten Hand hielt er ein kleines, filigranes Fernrohr aus Silber, durch das er in den anderen Stadtbereich hinüber spähte. Ein wehleidiges Seufzen drang beim Anblick der spielenden Kinder über die Lippen und der Junge kam nicht umhin, die Mundwinkel traurig zu verziehen. Wie sehr wünschte er sich, dabei sein zu dürfen. Spass haben zu können.
Aus der Ferne konnte er ausmachen, wie die drei Jungen auf dem Platz gerade eine Partie “Patrons-Glück” spielten. Besonders beliebt bei der jungen Generation. Die Regeln waren so simpel wie der Name selbst: Es gibt eine goldene Murmel, die auf einem flachen Spielfeld platziert wird und um dessen Nähe es zu kämpfen gilt. Um diese wird ein Kreis mit dem Durchmesser eines Fusses gezogen.
Jeder Teilnehmer hatte zuerst drei Versuche, die eigenen Glasmurmeln - die oftmals bunt und manchmal auch in den Farben der Familien geschmückt waren - möglichst nahe an den Goldenen zu platzieren. Dann begann der eigentliche Kampf. Sieben Würfe lang hatte man die Möglichkeit, die gegnerischen Murmeln von der goldenen weg oder aus dem Kreis zu spicken. Gelang letzteres, hatte man die Kugel ergattert und durfte diese behalten. Das Spiel dauerte so lange, bis die Würfe verbraucht oder alle Murmeln eines Spielers erbeutet wurden. Nicht selten kam es dabei vor, dass die Spiele aus jugendlichen Frust und Trotz heraus ein jähes Ende nahmen, schien doch nicht jedes Kind gleich gut mit Niederlagen auszukommen. Besonders problematisch bei verzogenen Abkömmlingen der hohen Häuser.

In der linken Hand hielt der Zehnjährige eine kleine, nachtblaue Murmel, die er sich vor einigen Mondläufen bei einem Spiel mit einem vallardischen Kind ergattert hatte und drehte sie mit betrübten Gesichtsausdruck zwischen den Fingern, ehe er jäh aus seiner Gedankenwelt entrissen wurde.
“Giooo! Das Essen ist fertig!” Die weiche und helle Stimme seiner Mutter drang an seine Ohren und lenkte seine Aufmerksamkeit über die Schulter durch die Schiebetür in Richtung der Küche, aus der sie kam. “Ja, Mama!” Rief er zurück und kaum, da die Worte seine Lippen verlassen hatten, sprang er vom erhöhten Sitzplatz hinunter und eilte rasch in das Innere.
Ein weitläufiger Raum empfing ihn, als er über die Schwelle trat. Vor ihm erstreckte sich der lange Marmortisch mit seinen filigranen Silberverzierungen, der ursprünglich nur für Familienveranstaltungen gedacht war, ob seiner Nähe zur Küche jedoch täglich genutzt wurde. Im Vergleich zum Leib des Jungen wirkte es nahezu lächerlich gross und bot genug Platz für zwanzig Köpfe.
Umrundet wurde der Tisch von vier Säulen, die schmückend den Raum füllten und neben dem eingemeisselten Wappen der Familie auch noch diverse maritime Symbole und Gerätschaften aufwies, für die die Argento bekannt waren.
Wirklich imposant anzusehen und ein regelrechter Blickfang für jeden Gast, der die Ehre erhielt, das Anwesen zu betreten, stellte der Kronleuchter dar. Es war kein gewöhnlicher, wie es in vielen Häusern anzutreffen war, sondern künstlerisch durch und durch. Der Korpus aus mattpoliertem Silber wurde dem einer Seeschlange mit eng anliegenden Flügeln nachempfunden und wies ein filigranes Schuppenkleid auf, dass das Seeungeheuer, mit dem aufgerissenen Mund und den spitz zulaufenden Reisszähnen, beinahe lebendig wirken liess. Waren die Kerzen entzündet, spiegelte sich das Licht der tänzelnden Flammen in den Schuppen wider und erweckte durch das verzerrte, zurückgeworfene Licht im Raum das Gefühl, als stünde man unter Wasser. Ein atemberaubender Anblick, der manch einen für den Moment vergessen liess, welch lebensverändernde Entscheidungen in diesem Raum getroffen wurden.

Die Finger seiner Mutter strichen liebevoll durch den zurückgekämmten Schopf des Argento, wie sie ihm anwies, sich hinzusetzen. Er widmete ihr ein dankbares Lächeln und folgte ohne Widerworte der Geste, um sich auf einem der gepolsterten Stühle niederzulassen. Nebenbei hatte er in einer hastig anmutenden Geste rasch wieder das Haar mit den Fingern gerichtet. Bereits beim Betreten des Speisesaals fiel der Blick dabei auf seinem Vater, der am Ende des Tisches auf einem hölzernen Thron sass, der selbstverständlich, wie der Grossteil des Hauses, mit silbernen Ornamenten von Kopf bis Fuss geschmückt wurde, um die eigenen Reichtümer zur Schau zu stellen und die Erhabenheit des darauf sitzenden hervorzuheben. Streng ruhte der Blick aus dem wettergegerbten Gesicht auf dem Kind, während er die Nase rümpfte.

“Hatte ich mich nicht klar ausgedrückt, dass du ihn bei seinem Namen zu rufen hast, Liebste?” Der scharfe Klang der basslastigen Stimme liess keinen Zweifel daran, dass er seine Ehefrau tadelte, doch ruhte die Aufmerksamkeit gänzlich bei seinem Sohn, den er ansah, als trage er die Schuld. Abelia reagierte mit einem Augenrollen, wie nur Frauen es beherrschen und winkte in Richtung ihres Mannes ab. “Er ist doch noch ein Kind, Eligio. "Warum musst du nur immer so streng sein?”
Giordano gab unterdessen vor, sich seinem Abendessen anzunehmen, doch brauchte es keinen aufmerksamen Beobachter, um zu erkennen, dass der kleine Junge nur wenige Bissen zu sich nahm. Gerade genügend, dass seine Mutter ihm nicht vorwerfen könnte, umsonst gekocht zu haben. Das, obwohl er ein Stück Rindsbraten auf dem Teller vor sich liegen hatte. Eine Delikatesse, wie es ob des wenigen Platzes für die Viehzucht nur selten auf dem Teller gab und er liebte.

“Weil wir keinen Schwächling erziehen, sondern unsere Zukunft. Bemutterst du ihn weiter, wird er diese Stadt nicht überdauern. Du hast doch gesehen, mit was für Kindern er sich abgibt, wenn er nicht kontrolliert wird! Mit einem Vallardi, Abelia! Wie beschämend! Also, unterlass es - bitte.” Wie so oft in Istraym, ruhte die Wahrheit verborgen hinter der Maske einer Bitte, doch schwang in der Stimme ein unmissverständlicher Klang einer Aufforderung mit, der von einem mahnenden Blick ergänzt wurde.
Ein erbostes Schnaufen entwich der Mutter, die nur zu gut wusste, dass sie keine Wahl hatte. Der Kopf schüttelte sich vehement und brachte die langen Haare in Schwung, die dadurch über die Schulter fielen. Mit trotzigem Klang der Stimme ergriff sie das Wort, während sie neben ihrem Mann zum Stehen kam.

“Wenn dir das Wohlergehen unseres Sohnes wirklich so viel bedeutet, sollte ich Gio einfach mit mir nehmen und Istraym verl-” Sie hatte den Satz nicht zu Ende gebracht, da erfüllte das klatschende Geräusch einer Ohrfeige den Raum. Giordano riss die Augen erschrocken auf und lenkte den Blick von seinem Vater zur Mutter, die sich die gerötete Wange mit ihrer zitternden, feingliedrigen Hand hielt, nicht minder erschrocken. Die Spannung nahm schlagartig zu und konnte förmlich ergriffen werden. Eine einzelne Träne bildete sich im Augenwinkel, bevor Abelia den Ausdruck eines verletzten Herzens in den meergrünen Iriden wegblinzelte und sich unter einem Räuspern herum wandte, um sich eiligen Schrittes in ihr Schlafgemach zurückzuziehen.
Der junge Argento sah derweil vor Angst versteinert zu seinem Vater auf, der seiner Ehefrau mit zusammengepressten Zähnen nachsah, wie er sich wieder auf seinem Thron niederliess. Als dessen strafender Blick Giordanos Silberblau traf, musste er unweigerlich schlucken und richtete seinen Oberkörper in eine aufrechte Position auf.

“Was sitzt du hier noch? Auf dein Zimmer, sofort!” Bellte der Vater erzürnt dem jungen Giordano zu, der zusammenzuckte und nach einem raschen, ergebenen “Ja, Vater.” eilig vom Stuhl stieg, um in den Flur zu rennen. Während er sich auf den Weg in sein Zimmer machte, passierte er die grosse Doppeltür, die in das Schlafgemach seiner Eltern führte. Er legte beide Hände flach auf dem Holz auf und hielt sein Ohr lauschend an die Tür, doch war nichts zu hören. Betrübt liess er ein Seufzen über die Lippen gleiten, während die Hände tiefer glitten, dabei strich die rechte Hand zufällig über die kleine Ausbeulung am Hosensack, die ihn daran erinnerte, dass er die Glasmurmel mit sich führte. Die kleinen Finger fischten es rasch heraus und seine silberblauen Iriden betrachteten die Kugel eingehend. Es handelte sich dabei um eine Glasmurmel in der Farbe der Familie Vallardi, in dessen Mitte ein winziger Nachtfalter eingelassen war. Eine Errungenschaft des letzten Spieles, dass er gewonnen hatte und im gleichen Zuge das letzte mal war, dass er mit anderen Kindern Zeit verbringen durfte. Der Ärger über die Botschaft, dass ein Argento sich offen mit einem Vallardi zeigte, war für seinen Vater Grund genug, sämtliche Aktivitäten zu streichen, die für den jungen Giordano nicht vorgesehen waren.
Von Gewissensbissen geprägt, im Glauben der Schuldige für die Eskalation gewesen zu sein und naiv, wie ein Kind es eben nur sein kann, platzierte er die Murmel vor der Schwelle der Doppeltür, in der Hoffnung, seine Mutter möge ihm dafür vergeben. Für einige Herzschläge sinnierte er noch, ob es eine gute Idee sein würde, das Zimmer zu betreten, doch entschloss er sich dazu, nur kurz an der Tür zu klopfen und auf sich aufmerksam zu machen - zweimal in rascher und zweimal in langer Abfolge, wie seine Mutter es ihm beigebracht hatte. Der Junge selbst sprang direkt nach dem Klopfen um die Ecke und harrte dort lauschend aus, bis die Tür langsam geöffnet wurde. Zwei, drei Herzschläge vergingen, bis das Geräusch des Schlosses an seine Ohren drang, wie sie wieder geschlossen wurde. Der kurze, spähende Blick um die Ecke war genug, um zu erkennen, dass die Murmel eingesackt wurde, und veranlassten den Argento schliesslich dazu, sein Zimmer aufzusuchen, bevor er erwischt werden würde. Ein Szenario, wie es sich nur allzu oft im Hause der Familie wiederholte, mit dem feinen, doch bedeutenden Unterschied, dass sein Vater zuvor noch nie handgreiflich gegenüber seiner Geliebten wurde.

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