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Leise knisterte und knackte das Holz an seiner linken Flanke, wie das Feuer sich an den im Kamin gestapelten Holzscheiten labte. Die tobenden Flammen züngelten in einem unruhigen Tanz in die Höhe, umschlungen sich selbst und kämpften darum, wer am hellsten und kräftigsten scheinen würde. Sie stiessen eine willkommene Wärme aus, die ein feines Kribbeln auf der Haut auslöste und kurz darauf von einer Gänsehaut komplementiert wurde, die dazu führte, dass die rauen und von schwerer Arbeit gezeichneten Finger über die entgegengesetzten Unterarme rieben. Wechselhaft und lebendig zeichnete sich ein Schattenspiel auf den Wänden des Raumes ab und luden förmlich dazu ein, sich eine passende Geschichte dazu auszumalen und der Fantasie freien Lauf zu lassen.
Seine Aufmerksamkeit galt jedoch einem Pergament in seinem Schoss, nach dem seine Hände in einer zähen Bewegung griffen. Nachdenklich liess er jenes zwischen den Fingern in einer ungleichmässigen Geschwindigkeit rollen, wobei die Zeigefinger hier und da sacht darauf tippten. Das silberblaue Iridenpaar des Mannes glitt mit einem abschätzendem Ausdruck über den Brief, der eigentlich schon längst auf Reisen hätte sein müssen.
Das Gespräch an diesem Abend verlief nicht wie erhofft. Vieles wurde preisgegeben, Antworten geliefert, denen er kürzlich erst noch auswich. Töricht von ihm, Verletzlichkeit in diesem Ausmass zu zeigen und willentlich einen wunden Punkt zu präsentieren, von dem Gebrauch gemacht werden konnte. Wozu? Damit die Reaktion gänzlich anders ausfiel, als er es sich ausgemalt hatte. Er war tatsächlich bereit, diesen Schritt zu gehen. Die Konsequenzen zu tragen, denen er sich ausgesetzt gesehen hätte. Eine beständige Gefahr, im Nacken lauernd zu wissen. Ungewissheit, wann der Tag des Gerichts kommen würde. Doch zu sehen, wie damit umgegangen wurde, dass es nicht so verlief, wie er es sich ausgemalt hatte. Nein, das akzeptierte er nicht.
Langsam, doch beständig keimte etwas lauerndes in seinem Inneren heran, geboren aus der Wut, die in ihm brodelte. Träge löste er den Fokus von dem Pergament und richtete sein Augenpast auf die Fensterscheibe aus, in dem sein Spiegelbild durch das Licht des Kamins vage zurückgeworfen wurde. In diesem Moment traf ihn die Erkenntnis. Unbeugsame Entschlossenheit flackerte in den silberblauen Iriden auf, wie sie einem jedem Argento in die Wiege gelegt wurden. Die Augen seines Vaters sahen ihm entgegen, die er so sehr verabscheute und doch konnte er nicht, als einen Mundwinkel voller Bitterkeit anzuheben. Vielleicht war er doch nicht so anders, wie er dachte.
Das Knacken eines der Holzscheiten riss ihn aus seinen Gedanken und liessen den Istraymer kurz gedankenverloren blinzeln, bis seine Aufmerksamkeit wieder von dem Pergament aufgefangen wurde, das er in den Händen hielt. Langsam drehte er den Oberkörper zur Seite, um sich reckend näher an den Kamin zu begeben und nach einem der kleinen Äste zu greifen, deren Spitze brannte. Damit liess er sich anschliessend zurück gleiten und hielt das Feuer In einer rotierenden Bewegung unter den Brief, während er geduldig darauf wartete, dass die kleinen Flammen auf das Pergament übergingen.
Vor seinem inneren Auge spielten sich diverse fiktive Szenarien ab, die sein Handeln festlegen sollten. Manche dieser Bilder hatte er weitergesponnen, andere verflüchtigten sich so schnell, wie sie kamen. Nach kurzer Zeit war der Entschluss jedoch gefasst. Ein grober Plan auf die Beine gestellt. Überzeugt hatte es ihn nicht. War es vielversprechend? Ungewiss. Das würde die Zeit offenbaren. Davon hatte er zu seinem Glück noch ein reiches Polster, aus dem er noch eine Weile schöpfen konnte.
Kaum war der Brief gänzlich von den Flammen verschlungen worden und nichts mehr als verkohltes Papier und Asche übrig, sah er sich das zweite Mal an diesem Abend nach einem Pergament greifen. Die Rückstände wurden fein säuberlich mit der Handkante zur Seite gewischt und damit im gleichen Zuge Platz für das Tintenfässchen und das Federkiel gemacht. Geübt und fein säuberlich, bemüht um ein schönes Schriftbild und offiziellem Eindruck, brachte er die Letter zu Papier und besah sich dann die im Vergleich doch recht knapp ausgefallene Nachricht, die er versenden würde.
Solgard Ratsgebäude
Giordano Argento
Istraym
Ephento
Schicksalsgasse 5
z.H. Eligio Ivano Argento
1. Tag des 5. Monats im Jahre 0 nach der Wende
Des Patrons Geleit, Vater
Ihr habt diese Zeilen sicherlich bereits sehnlichst erwartet, wo Ihr doch gefordert habt, zum frühestmöglichen Zeitpunkt über die Entwicklungen informiert zu werden, vorausgesetzt Eure Vögelchen haben Euch nicht schon die neue Kunde ins Ohr gezwitschert.
An dieser Stelle wäre es übrigens angebracht, ein Lob auszusprechen. So charmant und einnehmend, wie die bildhübsche Dame war, die Ihr mir auf den Hals gehetzt habt, wäre mir beinahe entgangen, dass ihre einzige Absicht es war, mich auf die Probe zu stellen und am Land ein Auge auf mich zu werfen. Es wird Euch erfreuen, dass die einzige Form der Beglückung, die sie durch mich erfahren hat in der Form von einer Hand voll Taler offeriert wurde, die ihr für die Rückreise nach Istraym mitgegeben wurden - hier wäre wiederum eine Entschuldigung angemessen, dass Euer Plan nicht gänzlich aufging. Welch Unglück!
Wie dem auch sei. Dieses Schreiben dient allerdings nicht der Aufklärung über den Verbleib Eurer kleinen Spionin, sondern um Euch darüber in Kenntnis zu setzen, dass ich auf Silber stiess. Die Sicherung stellt sich als schwerer heraus, als mir lieb wäre. Rechnet nicht mit einer baldigen Rückkehr, doch seid Euch sicher, dass ich mein Bestes geben werde, um Euren Wunsch zu erfüllen.
In der Zwischenzeit könnt Ihr vielleicht ein Pläuschchen mit unseren geliebten Nachbarn, den Pfirsichliebhabern, führen. Erinnert Ihr Euch noch an den gefallenen Grymaldi? Pietro, sein Name.
Wie ich in Erfahrung bringen konnte, planen sie, Güter aus Istraym zu überführen. Ihr versteht sicherlich, worauf ich hinweisen möchte. Ein paar Kontrollgänge mehr im Hafen würden sicherlich nicht schaden - sofern das Angebot, dass ich ihm unterbreiten werde, ausgeschlagen wird.
Doch ich zweifle daran, wo unser Freund mir ein Angebot unterbreitet hatte, das ich anfangs ablehnen wollte, mir inzwischen jedoch in die Karten spielt. Seid daher gewarnt, dass Gerüchte Istraym erreichen werden, die davon berichten, dass ein Argento sich mit einem Grimaldi zusammenschluss. Ich verspreche, dass es früher oder später Sinn ergeben wird und Ihr Eure Erklärung erhalten werdet. Gebt Euch bis dahin Mühe, den Boten, der diese Kunde an Euch herantragen wird, nicht zu belästigen.
Ihr werdet erneut von mir hören, sobald es neues zu berichten gibt.
gez.
Giordano Argento
Noch am darauffolgenden Tag, in den frühen und kühlen Morgenstunden und geborgen in dem oranggelbenen Schimmer der aufgehenden Sonne, würden aufmerksame Augen beobachtet haben können, wie sich der Argento länger mit einem Mann unterhielt, der kurze Zeit später durch ein selbst geschaffenes Portal trat und damit mitsamt des ausgehändigten Briefes im Nichts verschwand. Das Letzte, was man dem Argento ansehen konnte, bevor er sich zurückzog, war, wie sich ein mattes Lächeln auf die Lippen des Mannes legte, das stumm davon zeugte, dass es noch nicht vorbei war.
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